Interviews

Dorothea Richter

"Singles Räume für Ehrenamt eröffnen" - Interview mit Dekanin Dorothea Richter

 

Kirche und Singles - zwei Welten begegnen sich? Stimmt das oder kennen Sie gute Angebote für Alleinlebende in Kirchengemeinden?

Dekanin Richter: Ich sehe zumindest im ländlichen Raum keine zwei Welten. Die vielfältigen kirchenmusikalischen Angebote werden unabhängig vom Familienstand wahrgenommen, z.B. Kirchenchor, Gospelchor, Band oder Posaunenchor. Ähnliches gilt für die Arbeit mit Geflüchteten, wo sich Singles ebenso wie Menschen mit Familie engagieren, vielleicht sogar noch mehr.

Was könnten Singles der Kirche bieten?

Richter: Zeit, über die sie frei verfügen, und die sie für Ehrenamt einsetzen können. Erfahrungen aus ihrer selbstständigen Lebensweise. Sie sind gewohnt, Entscheidungen zu treffen.

Bei Singles müssen wir unterscheiden zwischen Lebensaltern. Jugendliche Singles sind in anderen Sozialräumen unterwegs als ältere Singles und Singles im mittleren Alter. Was brauchen Alleinlebende ab 70 Jahren?

Richter: Auch bei Singles ab 70 Jahren gibt es große Unterschiede. Viele benötigen eine Gruppe, in der auffällt, wenn sie fehlen, und in der Tipps für Hilfsangebote ausgetauscht werden können. Andere sind aufgrund ihres guten Gesundheitszustandes viel unterwegs, sportlich aktiv u.v.m. und empfinden die Einladung in einen Senior*innenkreis mit 80jährigen als völlig unangebracht.

Was meinen Sie - gibt es unterschiedliche Bedarfe bei Männer- und Frauen-Singles?

Richter: Nach meiner Erfahrung finden sich Single-Frauen wesentlich leichter zu gemeinsamen Unternehmungen oder Gesprächskreisen zusammen als Single-Männer. Letztere beteiligen sich eher an praaktischen Projekten (z.B. Zeltaufbau für das Gemeindefest) oder an Vortragsveranstaltungen zu theologischen und politischen Themen.

Single sein und Theologie - braucht es eine differenzierte Betrachtung? Single sein in der Bibel - gibt es da Aussagen, die hilfreich sind?

Richter: Anders als in der späteren christlichen Tradition gibt es im Neuen Testament nicht die "heilige Familie". In Markus 3,21f. 31-35 lesen wir, dass Jesu Familie ihn für "meschugge" hält und ihn von seiner Sendung abhalten will. Er distanziert sich von seinen leiblichen Verwandten und sagt: "Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter." Bemerkenswert ist, dass Jesu Tod und Auferstehung in der Urgemeinde unter den Jesusanhänger*innen auch seine Mutter und zwei seiner Brüder zu finden sind.

Sie selbst sind Single - vermissen Sie ein Angebot in Ihrer Gemeinde, das wir unbedingt anregen sollten?

Richter: Ich selbst bin Ausnahme-Single, weil ich durch meinen Beruf als Pfarrerin und Dekanin in vielen Gruppen der Gemeinde Anschluss habe. In meinem Ruhestand will ich dann auswählen, an welcher Stelle in welcher Kirchengemeinde ich "andocke".

Nehmen wir an, forum frauen und forum männer laden Sie zu einem Single-Gottesdienst ein. Würden Sie hingehen?

Richter: Es käme für mich auf das Thema an, ob ich hingehen würde, auf die Person, die die Predigt hält, und auf die Musik in diesem Gottesdienst.

 

* Anm.: Dorothea Richter war Dekanin im Dekanat Kronach-Ludwigstadt. Ende 2019 wurde sie nach 24 Jahren in den Ruhestand verabschiedet.

 

Julia Steller

"Singles inklusive" - Interview mit Pfarrerin Julia Steller

 

Kirche, Singles, Gemeindeangebote - wie beurteilen Sie das Thema Singles für und in Ihrer praktischen Arbeit?

Julia Steller: Engagierte Witwen im Besuchsdienst, ein "eingefleischter Junggeselle" im Kirchenvorstand, eine geschiedene 50jährige im ökumenischen Arbeitskreis - ungefähr in dieser Konstellation begegnen mir als Pfarrerin Singles im Gemeindealltag. Insofern decken sich diese persönlichen Beobachtungen mit den Ergebnissen empirischer Studien und Umfragen: Die Gruppe der Singles ist vor allem heterogen. Sie unterscheiden sich in Lebensabschnitten, Lebensumständen und Lebenswirklichkeit deutlich voneinander. Dementsprechend different ist auch ihre Präsenz in Kirchengemeinden. Menschen im Rentenalter, die bereits ihren Partner/ihre Partnerin verloren haben, sind die häufigsten Singles in der Kirche. Daneben gibt es eine erlesene Zahl Ehrenamtlicher im mittleren Alter, die häufig geschieden sind oder das Alleinleben bewusst entschieden haben. Alleinerziehende mit jüngeren Kindern oder junge Erwachsene ohne Kinder finden selten den Weg in Kirchengemeinden.

Sie haben an unserem ersten Fachtag zum Thema "Single sein in der Kirche" teilgenommen. Wir war ihr Eindruck?

Steller: Genau diese Verteilung des Singledaseins spiegelte sich auch in der Zusammensetzung aller Teilnehmenden bei dem Fachtag. Die Veranstaltung war gut besucht von Ehrenamtlichen aus Kirchengemeinden, von grundlegend christliche Sozialisierten, auch von kirchenfernen Teilnehmenden, alle zwischen 40 und 75 Jahren. Für mich überraschend war jedoch die geringe Teilnahme hauptamtlicher kirchlicher Mitarbeitender. Haben viele Kolleg*innen keine Notwendigkeit gesehen, am Fachtag teilzunehmen, weil Singles in anderen Kirchengemeinden ganz selbstverständlich integriert sind? Oder fehlt bisher das Bewusstsein, diese Lebensform überhaupt zu beachten? Der große Zulauf und die Resonanz des Fachtages "Singles und Kirche" zeigen jedoch deutlich: Es ist ein Thema, das interessiert und bewegt - hoffentlich nicht nur Singles selbst. 

Was braucht es Ihrer Einschätzung nach vor Ort in den Kirchengemeinden? Mehr Angebote, mehr Sensibilität oder etwas ganz anderes?

Steller: Die von mir eingangs beschriebenen Singles sind sehr engagiert und zählen zur Kerngemeinde. Sie haben Anschluss gefunden und Kontakte geknüpft. Zum Familiengottesdienst an Ostern kommen sie trotzdem nicht. Sie fahren auch nicht mit auf Gemeindefreizeit und ich kann es gut verstehen. Die Teilnahme an kirchlichen Angeboten setzt voraus, dass sie etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun haben oder wenigstens damit verbunden werden können. Genau da liegt vielleicht der Knoten. Viele Gemeindeangebote haben Zielgruppen, für Kinder und Familien, für Jugendliche, für Senior*innen, für die Erwachsenenbildung. Bei manchen können Singles Anknüpfungspunkte finden, es ist aber eben nicht selbstverständlich. Auch das war ein deutliches Votum des Fachtages: Es geht nicht darum, noch ein zielgruppenorientiertes Angebot zu kreieren. Worauf es ankommt ist die Haltung. Es braucht ein Bewusstsein für die Lebenswirklichkeiten, Sensibilität in Sprache und Auftreten und eine niedrigschwellige Willkommenskultur. All diese Aspekte verbinden sich für mich mit dem Gedanken der Inklusion.

Sie sprechen vom Gedanken der Inklusion. Können Sie erläutern, was das bezogen auf Singles bedeuten könnte?

Steller: Es geht nicht darum, eine vermeintliche Randgruppe hereinzuholen in den Kreis der "Normalen". Vielmehr ist es normal, verschieden zu sein. Und genau diese Haltung können Kirchengemeinden leben. Die Gemeinschaft ist doch das Selbsverständnis der Kirche als communio sanctorum. Zu dieser communio zählen eben alle, die Jungen und Alten, die Familien und Singles. Kirchengemeinden haben ein großes Potenzial für Singles eine tragfähige Gemeinschaft zu sein, in der sie sich zugehörig fühlen und gerne engagieren. Entscheidend ist das gelebte Selbstverständnis.

 

* Anm.: Julia Steller ist selbst Single und Pfarrerin in der Evang.-Luth. "Dreifaltigkeitskirche" Schongau.

 

Astrid Eichler

"Wir brauchen einander" Interview mit Pastorin Astrid Eichler von Solo&Co.

 

Immer mehr Singles in der Gemeinde - welche Anregungen haben Sie als engagierte Hauptverantworltiche des christlichen Netzwerkes Solo&co.?

Astrid Eichler: Wenn wir den biblischen Befund, die kirchengeschichtliche Entwicklung und die Lebenssituation von Singles aufmerksam wahrnehmen, tun sich für Verkündigung, Seelsorge und Gemeindeleben viele Herausforderungen und Wünsche auf. Einige Fragen können als Denkanstoß dienen: Prägt eine Atmosphäre der Wertschätzung das Miteinander mit den Singles? Wie leben wir diese zum Beispiel am Muttertag oder Valentinstag? Welche Angebote gibt es in den Gemeinden für christliche Singles, die nicht mehr junge Erwachsene und noch nicht Senioren sind? Gibt es Singles als Vertreter oder Vertreterin im Kirchenvorstand oder in Gremien? Kommen Singles auch mal in Fürbitten vor? Nehmen wir die vielfältigen Lebenssituationen von Singles wahr? Wo finden biblische Aussagen über Ehelosigkeit Raum in der Verkündigung? Wie viele Beispiele gibt es in Predigten, die nicht aus Ehe und Familie stammen? Was geben wir Singles mit auf den Weg?

Welche Perspektiven und Möglichkeiten sehen Sie für Kirche und Gemeinden beim Thema Singles?

Wir brauchen Orte der Zugehörigkeit, Orte, an denen wir Leben miteinander teilen können. Herkömmliche Gemeinden, so wie wir sie im 21. Jahrhundert haben, sind an dieser Stelle weithin überfordert. Und auch ein Singlekreis in der Gemeinde ist nicht die Lösung. Viele Singles tun sich auch schwer, Angebote für Singles wahrzunehmen. Und doch ist es gut, sich mal mit Menschen auszutauschen, die in ähnlicher Lebenssituation sind. Es ist gut, wenn Gemeinden mit Singles ins Gespräch kommen, was fehlt, was helfen könnte. Singles brauchen attraktive Angebote, Zeiten und Orte, bei denen klar ist, es geht nicht ums Verkuppeln. Wir brauchen eine Vielfalt an gemeinschafltlichen Lebensformen. Wir brauchen Gemeinschaft für Gemeinde als Ganzes.

Ist Gemeinschaft der Schlüssel und das Thema der Zukunft?

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft kann ein guter Anstoß zum Aufbruch sein. Sie fällt nicht einfach in den Schoß. Es braucht konkrete Schritte. Gemeinschaft braucht Gebet, Geduld und Kompetenz. Wer sich in seinem Leben mehr Gemeinschaft wünscht, muss sich auf den Weg machen. Das Netzwerk Solo&Co. engagiert sich dafür. Es ist ein Netzwerk für christliche Singles. Und unsere Fachstelle Gemeinschaft bietet Kurse an. Bei Solo&Co. ist eine Bewegung entstanden, die Singles aller Art in einem Netzwer verbindet und viele neue Formen von Gemeinschaft hervorbringt.

 

* Anm.: Astrid Eichler stammt aus Berlin und war früher Gemeindepastorin und Gefängnisseelsorgerin. Sie leitet die Geschäftsstelle von EmwAg e.V. und ist eine der Hauptverantwortlichen von Solo&Co, dem Netzwerk christlicher Singles.